... und die Kinder turnten nicht am Schlagbaum

Eine Episode des Kalten Krieges in der Oberpfalz

Inhaltsverzeichnis

  1. Eine kleine Episode des kalten Krieges
  2. Hermannsreuth - Im Wirbel der Geschichte nach dem 2. Weltkrieg
  3. Die tatsächlichen Ereignisse des 2. August 1965
  4. Folgen des Zwischenfalls
  5. Die Rolle der Medien
  6. Situation heute
  7. Schluss
  8. Anhang: Bilder & Dokumente
  9. Quellen

Karte von Hermannsreuth heute:

(Dill – Hof mit Pfeil markiert)

Fotographie Deckblatt:

Hermannsreuth – Dorf Ende März 2009 vom „Schlossberg“ aus. Während anderswo der Schnee schon geschmolzen ist, dauert hier der Winter bis in den April

Eine kleine Episode des kalten Krieges

,,Es geht um einen Misthaufen und um ein stilles Örtchen" - wenn man diesen Satz liest, denkt man erst einmal sicherlich nicht an den Kalten Krieg und die 1960er Jahre - doch zu ebenjener Zeit erregte ein Vorfall an der bayrischböhmischen Grenze das Medieninteresse in ganz Deutschland. Wenn ich mich mit dieser Episode des Kalten Krieges befasse, beschäftige ich mich hauptsächlich mit der Geschichte meiner Familie und der Geschichte meines Heimatortes. Dieser Heimatort ist Hermannsreuth.

Hermannsreuth liegt in der östlichen Oberpfalz nahe des kleinen Städtchens Bärnau im Landkreis Tirschenreuth. Das raue Klima und die hügelige Landschaft ringsum ist bezeichnend für diesen Landstrich, den man auch ,,Stoapfalz" wegen seines sprichwörtlichen ,,Reichtums" an Feldsteinen nennt. Das große Dürrmaul mit 801 Höhenmetern flankiert die kleine Ortschaft, die zwar keine große, aber doch eine bewegte Vergangenheit hat.

Erstmals urkundlich erwähnt 1352, wuchs Hermannsreuth von einem Gut zu einer kleinen Ortschaft. Spätere Besitzer dieses Gutshofes trugen den Namen ,,Abgott" - deshalb trägt die Ansiedlung auch den Beinamen ,,Abgout". Seit der Teilung Europas in Ost und West ist der Ort, obwohl geographisch gesehen nahe dem Mittelpunkt Europas, ein abgeschiedener Fleck geworden. In diesem Ort also befindet sich bis heute der Hof meiner Großväter - es ist der letzte Hof vor der Grenze zu Tschechien. Ein unerlaubter Grenzübertritt brachte 1965 eine Lawine ins Rollen, die man sich heute schon gar nicht mehr vorstellen kann. Damals gehörte der Hof noch meinem Großvater Josef Dill sen. ( * 1910 + 2000) und seiner Frau, meiner Großmutter Maria Dill geb. Bäuml (* 1925).

Diese Arbeit soll nun einen Überblick über die wirklichen Geschehnisse des August 1965 bieten, die historischen Begebenheiten an der Grenze zwischen Ost und West zusammenfassen und die Rolle der Medien in diesem Fall beleuchten. Abschließend wird die Situation an der Grenze heute dargelegt. Aufgrund unsicherer Quellenlage und unvollständigen, teilweise sich widersprechenden Überlieferungen ist dies nicht immer einfach gewesen, doch ich hoffe, eine stimmige und gesicherte Gesamtdarstellung liefern zu können.

Bärnau, im April 2009     Johannes Dill

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Hermannsreuth - Im Wirbel der Geschichte nach dem 2. Weltkrieg

Hermannsreuth war eine der letzten Ortschaften, die gegen Ende des Krieges von der U.S. Army befreit worden waren. Ein Zug der Waffen-SS hatte in Hermannsreuth den Batallionsgefechtsstand aufgeschlagen. Einige ältere Hermannsreuther verlangten, dass das Dorf kampflos übergeben werden solle; die SS lehnte ab und verurteilte einen 76-jährigen standrechtlich zu Tode. Das Urteil wurde am 29. April 1945 in Galtenhof vollstreckt. Am 3. Mai nahmen die Amerikaner den Ort ein.

Die Gedenktafel aus dem Jahr 2000. Deutlich ist die Landesgrenze zu erkennen.

An die gefallenen Weltkriegsteilnehmer erinnert noch heute eine große Gedenktafel in der Dorfkapelle, unter anderem auch an Ferdinand Dill jun., dem Bruder von Josef Dill, der im Dezember 1941 an der Ostfront gefallen ist.

Ferdinand Dill

Die Welt teilte sich nach dem 2. Weltkrieg in Ost und West, und diese Teilung bekam auch Hermannsreuth bald zu spüren. Das Dorf liegt direkt an der Grenze, doch auf der anderen Seite hatte sich ein ,,Nachbardorf" entwickelt: Hermannsreith. Hermannsreith und Hermannsreuth waren eigentlich eine Siedlung, ein zusammenhängendes Gebiet. Doch die Landesgrenze verlief mitten durch die Ortschaft. Erstmals erwähnt wird Hermannsreith 1713 mit 5 Anwesen im Theresianischen Kataster. Im Jahre 1930 bestand Hermannsreith aus 23 Häusern mit 123 Einwohnern, fast ausschließlich deutschsprachig. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges verlief also der Eiserne Vorhang genau durch das Dorf Hermannsreuth/Hermannsreith und trennte es in der Mitte. Die deutschen Bewohner von Hermannsreith wurden ab 1946 aus ihren Häusern vertrieben; Ihr Hab und Gut durften sie nach bayrisch-Hermannsreuth herüberbringen und bei Bekannten und Verwandten unterstellen. Bis 1951 wurden dann die Häuser und Gehöfte vollständig abgetragen; Viele der ehemaligen Hermannsreither bauten sich in der Folgezeit ca. 200 m vor Hermannsreuth eine neue Existenz auf, die heute den Namen ,,Hermannsreuth-Siedlung" trägt.

Deutlich erkennt man hier den strukturellen Unterschied zwischen Hermannsreuth und Hermannsreuth-Siedlung: Während im alten Dorf fast nur Höfe stehen, bauten die Vertriebenen in der Siedlung für damalige Verhältnisse moderne Einfamilienhäuser entlang einer Hauptstraße auf. An Hermannsreith erinnern heute nur noch ein Brunnen, der als Viehtränke genutzt wird, zwei alte Ahornbäume (ehemals bei einem direkt benachbarten Gebäude), die scheinbar verwaist auf der Wiese stehen und Grundmauern eines Hofes in einem Waldstück weiter innerhalb Tschechiens, 5 sowie eine Gedenktafel aus dem Jahr 2000, die von den Hermannsreuthern errichtet wurde. Alle Häuser wurden abgerissen und damit unter anderem ein 12 Meter tiefer Brunnen aufgefüllt - auf der tschechischen Seite. Die Grenze verläuft direkt an der Grenze des Dill'schen Hofes - noch heute. Doch wie so viele andere auch verlor Josef Dill seinen Grund in der jetzt neuen Tschechoslowakei. Der Hof wurde nicht abgerissen, weil er der letzte vor der Grenze ist, doch streckt man den Kopf aus dem Fenster, ist man bereits auf einem anderen Hoheitsgebiet. Vor dem 2. Weltkrieg spielte das keine Rolle (Einen unproblematischen Grenzübertritt zwischen Böhmen und Bayern gewährte der schon 1862 geschlossene ,,Hauptgrenzvertrag"), denn direkt am Haus angeschlossen begann ein Ackergrundstück, dass zum Hof gehörte. Dieses wurde enteignet, doch den Misthaufen und ein Abort, dass sich auf tschechischem Hoheitsgebiet befindet, wurde unbehelligt gelassen und durfte weiterhin benutzt werden. Der Hof selbst wurde von Ferdinand Dill ( * 1878 - + 1958), dem Vater von Josef Dill sen., noch vor dem 1. Weltkrieg 1911 gekauft - die Familie Ferdinand Dill wohnte vorher in Hermannsreith und siedelte 1913 nach Bayern über. (Siehe Anhang Nr. 1: Übersiedlungsurkunde von Österreich nach Bayern)

Über die Situation der Hermannsreither und das ,,Schleifen" ihrer Gebäude berichtete 1951 unter anderem die "Stuttgarter Illustrierte"; Es ist einer der ersten Presseberichte über diese ungewöhnliche Situation einer nicht-regionalen Zeitung mit Bildern vom Abtrag der Gebäude.1 Sogar ein amerikanischer Offizier berichtete auf Englisch in einem Artikel über die ,,town of two nations". 2 (Die Menschen auf den Fotos sind tatsächlich die ehemaligen Einwohner von Hermannsreith, die verloren in Richtung ihrer ehemaligen Heimat blicken). Josef Dill sen. kam im Dezember 1949 aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft nach Hause und heiratete am 21.11.1950 Maria Bäuml aus Thanhausen. Er konnte den Abbruch der Häuser vom Wohnzimmerfenster aus mitverfolgen, was ein Foto beweist, das vom Balkon des Wohnhauses aus aufgenommen wurde.3

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Die tatsächlichen Ereignisse des 02.08.1965

... Insgesamt knapp elf Jahre war Josef Dill als Soldat und Kriegsgefangener fern der Heimat, und jene hatte sich in dieser Zeit massiv verändert: War für ihn früher ein Grenzübertritt auf dem familieneigenen Grund und Boden problemlos möglich, so verlief nun der eiserne Vorhang 4 direkt durch sein Grundstück und an der Hausmauer entlang. Josef Dill war am Polenfeldzug der Wehrmacht beteiligt und nach der Eroberung war er in einem Privatquartier bei Familie Mai in Bürgeln bei Marburg an der Lahn stationiert. Die Verbindung zu dieser Familie riss nach dem Krieg nicht ab; vielmehr kam im August 1965 Elisabeth Mai mit ihrer Enkeltochter Gisela Block zu Besuch in die Oberpfalz.

Familie Dill mit den Besuchern aus Hessen:
V.l.n.r.: Paula, Marianne, Gisela Block, Renate, Frau Mai, Maria mit Söhnchen Josef jr., Josef Dill sen.

Frau Mai wurde von allen nur die ,,Bürgel-Oma" genannt. Diese ,,Bürgel - Oma" sollte also am 2.August auf Josef Dill jun. (* 23.03.1963) aufpassen, während Josef und Maria Dill im Wald Brennholz machten. Am Nachmittag nun entwischte der kleine Josef der alten Frau und lief direkt aus dem Hintereingang des Hauses über die Grenze. Frau Mai lief ihm auf die Wiese nach. Zu dieser Zeit ________________ 1 Siehe Anhang Nr. 2: Stuttgarter Illustrierte (,,Tücken- alt und neu gleich unverständlich") 2 Siehe Anhang Nr. 3: ,,Town of two nations" by Frank J. Gates 3 Siehe Anhang Nr. 4: Bild Bulldozer vom Balkon des Wohnhauses + Ruinen von Hermannsreith 4 Der Begriff ,,Eiserner Vorhang" wurde 1946 von Winston Churchill geprägt 7 patroullierten zwei tschechische Grenzposten in einiger Entfernung, jedoch mit Sichtkontakt an der Grenze entlang. Als sie sahen, dass die alte Frau die Grenze unerlaubt übertrat, riefen sie ihr Warnungen zu. Allerdings war sie schwerhörig und hörte die Rufe der ,,Grenzer" nicht. Des weiteren trug sie eine hessische Tracht; Es ist anzunehmen, dass dies die Posten zusätzlich irritierte, denn die Mitglieder der Familie Dill und deren Situation waren den Grenzposten wohl bekannt, und ein ,,unerlaubter" Übertritt wäre bei den Familienmitgliedern womöglich ohne Folgen geblieben. (Die Kinder der Familie und auch die anderen Dorfkinder liefen damals in den Fünfzigern ohne Behelligung und ohne auf die Grenze sonderlich zu achten auf das jetzt tschechische Gebiet; Zwar nicht sehr weit hinein, doch ohne dass dies irgendwer einmal beanstandet hätte. Die Grenze wurde als solche scharfe Grenze nicht akzeptiert.) Auch wird vermutet, dass etwa in diesem Zeitraum andere neue Grenzstreifen eingesetzt wurden, die schärfer solche ,,kleinen Vergehen" ahndeten; Dies bleibt aber Spekulation. So aber lief die alte Frau seelenruhig weiter auf tschechoslowakisches Gebiet, ohne Notiz von den Bewaffneten zu nehmen. Diese waren angewiesen, jeden unerlaubten Grenzübertritt aufs Schärfste zu verfolgen und auch von der Waffe Gebrauch zu machen, und so gaben die Posten einen Warnschuss ab. (Sie wären auch befugt gewesen, Frau Mai zu erschießen; man denke an die vielen Toten an der innerdeutschen Grenze! So ist es vielleicht nur Glück gewesen, dass die Grenzposten ,,nur" einen Warnschuss abgaben). Die ,,Bürgel- Oma" hatte Josef junior wieder ,,eingefangen" und ging zurück zum Haus. Abends erzählte sie den Gastgebern, völlig aufgelöst, dass auf sie geschossen worden wäre. Doch der Vorfall blieb zunächst scheinbar ohne Konsequenzen.

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Folgen des Zwischenfalls

Am 17. August 1965 vormittags kamen tschechische Grenzposten an das Fenster des Wohnhauses und verlangten Josef Dill zu sprechen, der allerdings beruflich in Bärnau war. Maria Dill lies ihn dann benachrichtigen und er kam nach Hause. Sie fragten ihn nach dem Hergang des Vorfalls, doch er konnte nur zu Protokoll geben, was die ,,Bürgel-Oma" erzählt hatte, da er zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht im Hause war. Die Grenzposten gaben den Befehl, die Düngerstätte bis zum 01.10. zu beseitigen. Dies war ein harter Schlag für den Kleinbauern, da der Misthaufen nirgends sonst Platz fand - der Hof liegt eingeengt zwischen Staatsgrenze und Kreisstraße. Noch am selben Tag setzte Josef Dill ein Bittschreiben an den damaligen Landrat von Tirschenreuth, Herrn Otto Freundl, auf und bat ihn um Hilfe in diesem Fall. 1 Doch der Landtagsabgeordnete Freundl konnte ,,auf die Schnelle" auch nichts zur Besserung der Situation tun: Das Aborthäusschen durfte weiterhin benutzt werden, doch die Düngerstätte musste verschwinden. Der anfallende Mist musste nun im beengten Innenhof des Vierseithofes aufgeladen und sofort abtransportiert werden - eine Menge zusätzlicher Arbeit und im Winter, wenn die Feldwege aufgrund des strengen Winters verschneit waren, fast nicht zu bewältigen. Maria Dill sprach mit dem zuständigen Oberst und erklärte ihm die schwierige Situation. Dieser hieß Janu. Er hatte zwar ein Einsehen, doch diese Problematik wurde aufgrund des Medieninteresses und des Kalten Krieges (siehe 5.) schon auf höheren Ebenen erörtert. Frau Dill schaffte es einmal sogar, dass sich zwei tschechische Grenzposten die Situation im deutschen Innenhof einmal ansahen - illegal. Nun schaltete sich die bayrische Grenzpolizei, der Zoll und auch der damaligen Chamer Landrat Dr. Max Fischer, der gute Beziehungen zu den damaligen tschechoslowakischen Behörden hatte, in den Fall ein und vermittelten zwischen _________________________ 1 Siehe Anhang Nr. 5: Brief an Herrn Landrat Freundl 9 den beiden Seiten. Mehrere amtliche Briefe der Grenzpolizei sind erhalten, ebenso wie die Briefe von Josef Dill an die tschechische Militärmission in Berlin und an den Landrat und dessen Antworten. Stellvertretend für diese finden sich zwei dieser Briefe im Anhang: Der erste vom Grenzkommissariat Marktredwitz an den Landrat Freundl und der zweite von Landrat Freundl and die Familie Dill. 1 Eine tschechische Kommission sah sich die Situation im Frühjahr 1966 noch einmal an und nun hatte die CSSR ein Einsehen: Im November 1966 erst meldete die DPA, dass das Problem gelöst worden ist. Josef Dill darf ein kleines Stück Tschechoslowakei, dass früher sein Eigen war, kostenlos pachten und darauf seinen Dung lagern. Die Fläche muss er allerdings mit einem Zaun umgeben. Die kleine Episode im Kalten Krieg dauerte schließlich über ein Jahr, ist aber zu einem versöhnlichen Ende gekommen.

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Die Rolle der Medien

Eine besondere Brisanz erhielt der Fall für die Familie Dill damals auch, da recht bald die Medien auf den ungewöhnlichen Vorfall aufmerksam wurden. Zuerst will ich das Verhalten der Journalisten aufzeigen und dann einige ausgewählte Artikel genauer unter die Lupe nehmen und sie unter anderem auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen.

Printmedien wie die (regionale) Tageszeitung oder Boulevardblätter hatten in den Sechziger Jahren sicherlich noch einen höheren Stellenwert als heute. TV und Internet haben die klassische ,,Zeitung" heute als Informationsquelle Nummer 1 verdrängt. Doch für damals galt das noch nicht; und so ist es nicht verwunderlich, dass im Hause Dill bald die ,,klassische Journalistenmeute" auftauchte. Der Umgang mit den Journalisten und Reportern war nicht einfach für die Familie, die noch keine nähere Medienerfahrung gemacht hatte. Zum einen waren diese Jounalisten aufdringlich und auf der Suche nach einer ,,Sensation". Vor allem im Herbst 1965 kamen sehr viele Reporter in das kleine Grenzdorf. Sie drängten vor allem Josef und Maria Dill zu immer neuen Aussagen und fotografierten wild drauf los. Im Frühherbst ist auf einem Bauernhof wie dem der Familie Dill aufgrund der Erntezeit nichts verschlossen; So kamen die Reporter problemlos in den Hof und ___________________ 1 Siehe Anhang Nr. 6: Briefe 10 in das Haus. Zwar waren es keine ,,Reportertrauben", aber vor allem einzeln tauchten sehr viele auf. Josef Dill war Landwirt aber auch Metzger und deshalb beruflich oft in Bärnau. Wenn also wieder die ,,Zeitungsmenschen", wie sie Maria Dill auch heute noch nennt, kamen, war sie allein mit ihren Kindern und der Arbeit auf dem Hof. Sie wusste sich nicht zu helfen mit den aufdringlichen Zeitgenossen; Deshalb lief sie, jedes Mal wenn wieder ein Reporter am Hof war, den Bruder von Josef Dill, Franz Dill entgegen, wenn dieser aus der nahen Knopffabrik zum Essen auf den Hof kam. Den Journalisten ging es nicht um eine ehrliche Berichterstattung des Vorfalls und seiner unangenehmen Konsequenzen, sondern eher um eine Schlagzeile und um gute Fotos. Dass die gedruckten Artikel fast nie vollständig der Wahrheit entsprachen, sehen wir an den dann folgenden. Ein Reporter wollte sogar eine Nachbarin auf das Abort setzen und sie als Maria Dill fotografieren, da diese zu dem Zeitpunkt nicht in der Nähe war. Daran erkennt man leicht die Arbeitsweise dieser Journalisten. Auch waren sie immer zur Stelle, wenn deutsche Behörden mit den tschechischen Behörden an der Grenze verhandelt haben. Paula Fröhlich, die Erstgeborene der Dill's sagt heute dazu: ,,Seitdem wissen wir, dass man von dem, was in der Zeitung steht, nur die Hälfte glauben darf."

Ich habe nun im Folgenden 5 Artikel größere Artikel näher untersucht. Schwierig war die Einordnung dieser in den Kontext, da bei allen etwas fehlte: Entweder der Autor oder das Blatt, in dem er erschien oder das Datum. Die Artikel selbst stammen aus dem Privatbesitz von Maria Dill; Sie wurden ihr entweder zugeschickt (von Verwandten oder Bekannten) oder von ihr zur damaligen Zeit erworben. Das Medieninteresse an dieser unangenehmen Geschichte war sogar so groß, dass das ,,Fernsehen" kam und ein kurzer Bericht über die Situation gesendet wurde; Dieser liegt heute leider nicht mehr vor, auch de Sender ist nicht mehr zu bestimmen. Den ersten Artikel, den ich hier nenne, ist weniger ein echter Artikel, mehr ein Bildbericht der Geschichte. Er erschien in der ,,Bunten" unter der Überschrift ,,Es geht um einen Misthaufen und ein stilles Örtchen"; wann ist nicht zu ermitteln; ___________________ 1 Siehe Anhang Nr. 6: Briefe 2 Siehe Anhang Nr. 7: Artikel der ,,Bunten" 11 Die Fotographien schoss ein gewisser Alfred Strobel. Er besteht aus zwei gleichformatigen Seiten, die mit großen Bildern ausgefüllt sind: Links ist der Hof mit der Grenze, Josef Dill und zwei Schweine zu sehen, rechts der Abort, der Misthaufen und zwei Soldaten, sowie Maria Dill, anscheinend beim Mistaufladen. Der wenige Text unter den Bildern ist soweit nachprüfbar korrekt; Der ganze Bericht besteht aus diesen wenigen Informationen, davor und danach im Magazin stehen andere Artikel. Der Bericht ist typisch für Boulevardblätter: Große Bilder, wenig Text, oftmals angereichert mit lakonischen Mitteln: In diesem Falle sind es die beiden Schweine, die ,,zum sozialistischen Nachbarn hinüberspähen" - was für eine seriöse Berichterstattung nicht erwähnenswert ist. Interessant an diesem kurzen Bericht ist vor allem das größte Bild mit dem Abort und dem Misthaufen: Im Abort selbst ist ein Herz in die Tür hineinretuschiert worden, das nie existierte. Ebenso wurden die beiden russischen oder tschechischen Soldaten in das Bild hineingeschnitten - Grenzposten ließen sich in Wirklichkeit nie fotographieren. Die Autoren dieses Artikel verfolgten augenscheinlich den Zweck, diese Bilder authentisch und brisant wirken zu lassen. Eine frühere Arbeitgeberin von Maria Dill aus Hof erkannt diese in der ,,Bunten" und sagte am Telefon zu ihr: ,,Ich habe dich auf dem Misthaufen erkannt." Doch es ist kein Mist, den Maria Dill dort umlädt, sondern gemähter Klee. Der zweite Artikel, geschrieben von Hans-Jürgen Köppel, erschien am 26.08.1965 unter dem Titel ,,CSSR nimmt Anstoß an Aborthäußchen" in einer unbekannten Zeitung, also wenige Tage nach dem Vorfall 1 Auf den ersten Blick wirkt er seriöser als z.B. der Bunte - Artikel, doch in ihm stecken mindestens vier Fehler: In der ersten Spalte wird berichtet: ,,Als Hedwig Dill ihren Jüngsten ans Herz drückte...." Es gab und gibt keine Hedwig Dill auf dem Hof, gemeint ist wohl Maria Dill, und diese war zum Zeitpunkt des Vorfall nicht im Haus, also hat sie auch ihren Jüngsten nicht gleich ans Herz drücken können. In der zweiten Spalte wird behauptet, dass die Besucher aus Hessen mit den Dill's verwandt wären; Das stimmt nicht. In der dritten Spalte wird behauptet, dass der Hof von Josef Dill's Vater errichtet worden wäre - auch das ist falsch, der besagte Ferdinand Dill _______________ 1 Siehe Anhang Nr.8: ,,CSSR nimmt Anstoß an Aborthäußchen" 12 kaufte den Hof. Und in der vierten Spalte schließlich spricht der Reporter von einem Abrissbefehl für das Aborthäuschen - der nie ausgesprochen wurde. Diese Fehler stehen stellvertretend für die vielen Fehler, die man in dem ansonsten flüssig geschriebenen Artikel finden kann. Im dritten Artikel 1 finden sich so gut wie keine echten Unwahrheiten; Er erschien am 29.09.1965 in einer unbekannten Zeitung und ist von einem gewissen Horst Homberg. Was diesen Artikel interessant macht ist die Schreibsprache, die Homberg anwendet: Anstatt einen bloßen Bericht zu schreiben, formuliert er die ungewöhnliche Begebenheit zu einer kurzen Geschichte um, oftmals mit ironischen Randbemerkungen und eleganten Ausschmückungen, z.B. ,,... [die Familie Dill] schlüpft mehrmals täglich durch den eisernen Vorhang um sich dahinter zwecks biologischer Notwendigkeit zwar auf deutschen Holz, aber auf tschechischen Grund niederzulassen". (Siehe Spalte 3 Mitte) Der vierte Artikel nun erschien an einem unbekannten Datum in der Abendzeitung am Sonntag unter dem Titel ,,...und die Kinder turnen am Schlagbaum" 2. Verfasst wurde dieser Artikel von Edgar Fuchs. Die Überschrift und das eine große Bild des Artikels sollen vermitteln, dass die Kinder der Familie Dill die Grenze nicht sonderlich ernst nehmen - nur, auf dem Foto sind nicht die Kinder der Familie Dill zu sehen sondern die Nachbarskinder; Somit ist gleich die reißerische Überschrift falsch und das Bild dazu. Ob der Redakteur das wusste, bleibt ungeklärt; Also kann nicht gesagt werden, ob die Überschrift ,,nur" ein Fauxpass des Journalisten oder eine absichtliche ,,Aufpeppung" der Überschrift war. In diesem Artikel wird Hermannsreuth als weltfern und hinterwälderisch dargestellt - sicherlich nicht schmeichelnd für seine Bewohner. Der Artikel ist wenig aussagekräftig was die tatsächliche Situation anbelangt, er erzählt nur eine kleine Anekdote von der Grenze. Dass Hermannsreuth zwischen Bärnau und Schirnding liegt, wie in der ersten Spalte behauptet wird, ist unglücklich gewählt - Schirnding liegt in Oberfranken. _______________ 1 Siehe Anhang Nr. 9: ,,Weshalb Bauer Dill immer über die Grenze gehen muss" 2 Siehe AnhangNr. 10: ,,...und die Kinder turnen am Schlagbaum" 13 Der letzte Artikel nun ist von Arne Boyer und erschien am 28.081965 in gleich zwei Blättern: Im 8 - Uhr Blatt und in der Abendzeitung 1. Inhaltlich sind die beiden Artikel identisch, ich beschäftige mich mit der Ausgabe der Abendzeitung. Der Artikel ist im Vergleich zu den anderen erheblich länger und soweit feststellbar korrekt. Er beschreibt die Situation ausführlich und genau, fügt nichts hinzu, erwähnt sogar richtigerweise, dass es nie Probleme mit den bis dahin humanen tschechischen Grenztruppen gab. Er versucht nicht, die Situation aufzuwerten und ergreift nicht Partei für den Westen. So gesehen ist dies eigentlich einer der besseren Artikel, soweit es meine Beurteilung zulässt journalistisch sauber recherchiert und inhaltlich ohne Mängel. Als Fazit kann man wohl sagen, dass es erkennbare Unterschiede in der Aufarbeitung einer Sachlage durch die Medien gibt. Einige Artikel lassen das Bemühen erkennen, einen korrekten Bericht zu liefern, andere wollen nur eine schnelle Story und eine große Schlagzeile. Die Differenzierung dieser Artikel in ,,schlecht" und ,,gut" ist nicht einfach, da die Quellen an manchen Stellen nicht gesichert sind. Erkennen lässt sich aber dennoch, dass sich alle Arten von Blättern mit diesem Thema beschäftigt haben, was eine Reihe von kleineren Artikeln (z.B. erschienen in der Süddeutschen) zeigt. 2 Die Präsenz dieses Thema in den Medien war hoch - infolge der Blockbildung und des Eisernen Vorhangs. Ein Artikel lässt sich sogar heute noch im Internetarchiv des ,,Hamburger Abendblattes" finden. (Link siehe Quellen) Am schwierigsten für die Familie Dill war die ständige ,,Belagerung" der Reporter; Für eine Kleinfamilie aus der Oberpfalz, die einen Bauernhof und damit genügend Arbeit besaß war es eine Herausforderung die bis heute die Erzählungen der Beteiligten prägt. Zum Abschluss der Darstellung der Medien findet sich noch ein Brief der ,,Altbayrischen Heimatpost" im Anhang, der für sich spricht: Josef Dill wird auch noch aufgefordert, aktiv mit dem Blatt zusammenzuarbeiten und Bilder zu übersenden. Interessant auch, dass ein Waldershofer die Adresse der Redaktion übermittelte; Waldershof liegt zwar im Lkrs. Tirschenreuth, aber ca. 40 Kilometer von Hermannsreuth entfernt. _________________ 1 Siehe Anhang Nr. 11: ,,Der kleine Grenzverkehr des Bauern Josef Dill" 2 Siehe Anhang Nr. 12: Kleine Zeitungsausschnitte 3 Siehe Anhang Nr. 13: Brief der ,,Altbayrischen Heimatpost" 14

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Situation heute

Die Situation heute stellt sich für den jetzigen Hofbesitzer Josef Dill jun., dem ,,Davongelaufenen", der den Stein ins Rollen brachte, um einiges einfacher dar: Mit Wegfall des Eisernen Vorhangs konnte die Pacht des anliegenden Grundstücks erhalten werden. Es gibt keine Nutztiere mehr auf dem Hof; Der Misthaufen von damals wird heute als viel kleinerer Kompost genutzt. Die gesamte gepachtete Fläche ist heute ein grüner Garten. Das einzige Anliegen, dass die Behörden heute noch an den Hofbesitzer haben: Der Grenzstein muss frei sichtbar sein und der Grenzstreifen darf auf tschechischem Gebiet 1 m nicht bebaut werden; Aus diesem Grund musste 2007 ein Treibhaus wieder verschwinden, dass mindestens 10 Jahre dort unbehelligt gestanden war. Ansonsten gibt es keine Probleme mit den tschechischen Behörden und die Pachtkosten halten sich in niedrigen Grenzen. Es ist eher eine obligatorische Abgabe. Hinter der Grenze ist immer noch Niemandsland. Nach den Berichten 1965/66 war es wieder still geworden um die Situation im Oberpfälzer Wald; Nur 1989 erschien ein Artikel in einem kleinen Stiftländer Beilagenblatt und 1993 berichtete eine tschechische Tageszeitung vom Kuriosum des gepachteten Landes. 1

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Schluss

Es wächst zusammen, was zusammengehört. Nach dem Beitritt Tschechiens zur Nato und vor allem zur EU ist aus dem einstigen sozialistischen Nachbarn ein enger Verbündeter geworden. Seit dem Beitritt Tschechiens zum Schengener Abkommen darf jeder EU - Bürger die Grenzen zwischen der BRD und der Tschechischen Republik kontrollfrei übertreten - was die Familie Dill nun schon seit über 50 Jahren macht. Damals wäre eine solche Entspannung der Lage noch undenkbar gewesen. Als Zeichen der Versöhnung führt heute von Hermannsreuth aus ein im Jahr 2000 eröffneter kleiner Rad- und Wanderweg in die nächstgelegene tschechische Ortschaft Branka. Josef Dill starb im September 2000; Bis zu seinem Lebensende ging er täglich auf sein tschechisch-deutsches Gebiet. ______________ 1 Siehe Anhang Nr. 14 : ,,Zahradka az po hranicni kamen..." + dt. Übersetzung

Bärnau, im April 2009 Johannes Dill

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Anhang: Bilder & Dokumente

Anhang Nr. 1.:

Entlassurkunde der Fam. Ferdinand Dill - Übersiedlung nach Bayern

Anhang Nr. 2.:

Stuttgarter Illustrierte

Anhang Nr. 3:

"Town of two nations" by Frank J. Gates

Anhang Nr. 4.:

Aufgenommen vom Balkon des Wohnhauses aus

Ruinen von Hermannsreith

Anhang Nr.5:

Brief Josef Dill an Landrat Otto Freundl

Anhang Nr. 6:

Briefe Grenzkommissariat Marktredwitz an Landrat / Landrat Freundl an Fam. Dill

Anhang Nr. 7:

,,Bunte"

Anhang Nr. 8:

,,CSSR nimmt Anstoß an Aborthäuschen"

Anhang Nr. 9:

,,Weshalb Bauer Dill immer über die Grenze gehen muss"

Anhang Nr. 10:

,,...und die Kinder turnen am Schlagbaum"

Anhang Nr. 11:

,,Der kleine Grenzverkehr des Bauern Josef Dill"

Anhang Nr. 12:

Verschiedene kleinere Zeitungsausschnitte

Anhang Nr. 13:

Brief der ,,Altbayrischen Heimatpost"

Anhang Nr. 14:

Westböhmische Zeitung - Josef Dill 1993

Übersetzung:

Bei unseren Nachbarn ist die Zeit stehen geblieben
Gartentür bis zum Grenzstein

Eine wirkliche Rarität zu erblicken gelang dem Reporter der Westböhmischen Zeitung aus der Redaktion Tachau - Telegramm unmittelbar an dem Ort, wo die Staatsgrenze zwischen Tschechien und BRD durchgeht, nicht weit vom Grenzübergang Paulusbrunn.
Der 83-jährige Josef Dill aus Hermannsreuth in der BRD zeigt uns unmittelbar am Zaun seines Gartens, schon in unserem Gebiet, einen Grenzstein. Wenn er dann das Türchen im Zaun zum Hof seiner Wohnstätte öffnete und einhängte, überschritt er immer die eigene Staatsgrenze und kehrte zurück ins Gebiet der BRD... Bei unseren Nachbarn ist im Streifen bei der Staatsgrenze nach 48 das Leben stehen geblieben und so können wir nur mit Bedauern einige 10 Meter weiter Reste einer Grundmauer aus früheren Zeiten vorfinden, zweifellos ebenso schöne Gebäude in unserem Grenzgebiet...

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Quellen

Gewährsleute

[Vorname Familienname, {Geburtsfamilienname} ( Geburtsjahr | Wohnort)]

Literatur

Internet

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